Kabbalah

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Kabbalah Pentagram

Bei der Kabbalah (Quabbalah) (K.; hebr. = Überlieferung) handelt es sich um eine in esoterischen Kreisen verbreitete Form mystischer Bibelauslegung. Ihrem Selbstverständnis entsprechend wurde die K. schon Adam offenbart. Diese Mitteilungen sollten immer dann mittels neuen Offenbarungen aktualisiert werden, wenn sie in Vergessenheit zu geraten drohen. Neben den im Alten Testament befindlichen Geboten, soll Gott Mose am Sinai noch mündliche Geheimnisse mitgeteilt haben, die K.. Die im Talmud zusammengefasste Interpretation des alttestamentlichen Gesetzes wurde von den Kabbalisten im Mittelalter als geheimes universales Gesetz umgedeutet, das die Beziehung Gottes zur ganzen Welt beschreibt. Die ältere K. beschäftigt sich mit geheimen Namen Gottes und der Engel, die zum Zweck weißer (helfender) Magie eingesetzt werden können. Zum kabbalistischen Weltbild gehört die Seelenwanderung (Reinkarnation), die Kontaktaufnahme mit jenseitigen Mächten und Spekulationen über die „Wiederherstellung des Kosmos” (Tikkun). Durch die kabbalistische Feier des Tikkun Hatsot soll durch Bußfertigkeit Wiedergutmachung geleistet werden, um die Abwesenheit der Gegenwart Gottes nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels rückgängig zu machen.

Die grundlegenden Konzepte der K. entstammen vermutlich der jüdischen Gnosis des 1. und 2. Jahrhunderts. In der „Ma’asseh Bereschith” (hbr.: „Kunde von den Anfangsdingen”) wird eine mystische Kosmogonie entwickelt. Wer die Etappen der Entstehung der Welt und des Menschen kennt, ist demnach auch im Besitz des nötigen Wissens, um an die Quelle allen Seins, Gott, zu gelangen. Dazu müsse man die Stufen der geistigen Evolution, die zur Entstehung der gegenwärtigen, sichtbaren Welt führten, in umgekehrter Reihenfolge zurück zu Gott durchlaufen. Einflussreich war auch die Geheimlehre der „Ma’asseh Merkaba” (hbr.: „Kunde von dem Gotteswagen”). Darin wird unter anderem der mystische Weg der Seele durch die sieben Paläste (hbr.: Heckhaloth) hin zu Gott beschrieben.

Eine besondere Rolle bei der Entwicklung der K. spielt die Aggadah, eine mythologische jüdische Überlieferung außerhalb des Talmud. Sie umfasst Geschichten, Legenden, ethische Normen und witzige rabbinische Bemerkungen, die seit der Zeit des zweiten Tempels gesammelt worden sein sollen. In der volkstümlichen Aggadah wird beispielsweise berichtet, Rabbi Hillel habe die Gespräche zwischen Bäumen und Wolken und zwischen dem Vieh und den Tieren verstehen können. Rabbi Meir wird erwähnt, weil er 300 Fuchsfabeln gekannt haben soll. Darüber hinaus wurden lehrreiche Gespräche der Rabbinen überliefert, die anlässlich wichtiger Feste vorgetragen werden sollten. Zahlreiche Aussprüche wurden von Simeon ben Yohai (2. Jh. n. Chr.) im „Sefer ha- Zohar” (hbr.: „Buch des Glanzes”) gesammelt. Historisch nachweisbar erscheint der Zohar im hochmittelalterlichen Spanien (1275-1293). Er enthält hebräisch und aramäisch verfasste Kommentare zu den fünf Büchern Mose und dem Hohelied und dem Buch Ruth. Außerdem finden sich hier zahlreiche mystische Legenden und Erzählungen. Beeinflusst von der kabbalistischen Mystik wurde der jüdische Chassidismus (mystisches Judentum).

Im 16. Jahrhundert spaltete sich die Bewegung in die theoretische K. des Jakob Cordovera (1522-1570) und die praktische K. des Isaak Luria (1534-1572). Die theoretische K. überliefert zahlreiche spekulative gnostische Ideen. Die praktische K., auch K. der Zahlen genannt, widmet sich vor allem einer numerologischen Interpretation des Alten Testaments. Demnach wird jedem hebräischen Buchstaben ein bestimmter Zahlenwert zugeordnet. In der kabbalistischen Bibelauslegung ist es dann möglich, Wörter mit gleichem Zahlenwert zu vertauschen, um den mutmaßlich „geheimen Sinn” der entsprechenden Textstellen herauszuarbeiten. Dieses System wird auch auf andere Alphabete übertragen. Gelegentlich werden in wichtigen hebräischen Worten Jahreszahlen gesucht, um „geheime” Aussagen über göttliche Prophetie zu entdecken. Insbesondere Eigennamen und Geburtsorte werden gerne mittels solcher Zahlenspekulation gedeutet. Zuerst werden die entsprechenden Zahlen den Buchstaben des zu deutenden Namens zugeordnet und addiert. Aus der sich in einem nächsten Schritt ergebenden Quersumme (z.B. 3725 = 3+7+2+5 = 17 = 1+7 = 8) werden dann magische Bedeutungen dieses Ortes oder Namens abgeleitet. Dabei wird jeder Zahl zwischen 1 und 9 eine spezifische Bedeutung zugesprochen (z.B. Farben, Charaktereigenschaften, Glück / Unglück usw.).

Die klassische kabbalistische Zusammenstellung der Aggadah findet sich in Reuben Hoeshkes „Yalkut Re’uveni“ von 1660. Kabbalistische Ideen wurden auch durch jüdische Gebetsbücher wie Nathan Hannovers „Sha’arei Ziyyon” von 1662 verbreitet.

Seit dem 15. Jahrhundert finden sich verschiedene Versuche, die K. mit christlicher Theologie zu verbinden. Der italienische Humanist Pico della Mirandola (1463-1491) bemühte sich, alle ihm bekannten Weisheitslehren, einschließlich der jüdischen K., miteinander zu vereinen. Weiterentwickelt wurde diese christliche K. von Johannes Tritheim (1462-1516), Agrippa von Nettesheim (1486-1535) und Johannes Reuchlin (1455-1522). In seinen Schriften „De verbo” (1494), „Arcana academia” (1517) und „De arte cabbalistica” (1517) will Reuchlin die K. nutzen, um das Christentum zu verteidigen und die Wissenschaft zu harmonisieren. Demnach sei Gott das Grenzenlose (En soph), das sich bei der Weltschöpfung seines Sohnes (Adam Kadmon) als Mittler bedient habe. In ihm leben die Kräfte der Sephiroth (auch: Sefirot), welche die göttlichen Kräfte durch das Weltall leiten. Mit Sephiroth werden in der K. die zehn Eigenschaften des Absoluten, des „verborgenen Gottes” bezeichnet. Diese Eigenschaften entsprechen zehn Stufen des göttlichen Seins, über die Gott sich aus sich selbst heraus bewegt und zu sich zurückkehrt: 1. Kether (Krone), 2. Chockmah (Weisheit / Uridee), 3. Binah (Intelligenz / Wissen), 4. Chesed (Liebe, Mitleid), 5. Geburah (Macht / Furcht), 6. Tiphereth (Schönheit), 7. Nezach (Dauer / Sieg), 8. Hod (Majestät / Ehre), 9. Jesod (Basis / Ursprung aller Kräfte) und 10. Malkuth (Königtum). Durch diese stufenweise Selbstentfaltung Gottes im Rahmen der Geschichte des Universums sind alle sichtbaren und unsichtbaren Bestandteile der gegenwärtigen Welt in Existenz gekommen. Den verschiedenen Stufen entspricht je eine Manifestation des verborgenen Gottes, der aus sich heraustritt und so dem Menschen näher kommt und von ihm wahrgenommen werden kann. In kabbalistischer Meditation kann der Mensch diese Stufen in umgekehrter Richtung hinaufsteigen, um den reinen geistigen Gott zu erkennen.

Die genannten zehn Stufen entsprechen darüber hinaus zehn Namen Gottes und bilden einen mystischen Lebensbaum (auch: Weltenbaum). Der Lebensbaum ist eine graphische Darstellung der Abfolge und Verbindungen der zehn Sephiroth untereinander. Er wird benutzt, um die Stellung der eigenen Seele und deren potentielle Weiterentwicklung zu bestimmen. Die Kräfte der Sephiroth leben auch im einzelnen Menschen. Dessen Glieder (Arme, Beine usw.) sind Abbilder eines inneren, spirituellen Seins, das symbolisch durch den Adam Kadmon dargestellt wird. Im Zohar werden den zehn Stufen göttlicher Manifestation zehn Hierarchien des Bösen gegenübergestellt. Die ganze hebräische Bibel wurde als verschlüsselte Beschreibung der Sephiroth-Vorgänge begriffen, deren eigentliches Verständnis erst durch die kabbalistische Deutung erschlossen werden kann.

Insbesondere die von Knorr von Rosenroth veröffentlichten Texte der K. („K. Denudata” 1677-84) führten zu einer populären Verbreitung dieses Gedankenguts außerhalb des Judentums. Jesus Christus wird von ihm mit Adam Kadmon gleichgesetzt und die drei oberen Sephiroth (Kether, Binah, Chokmah) entsprechen der biblischen Trinität (Vater, Sohn, Heiliger Geist). Übernommen wurden kabbalistische Ideen unter anderem von Alchemisten des 16. und den Gold- und Rosenkreuzern des 18. Jahrhunderts. Nennenswerten Einfluss nahmen kabbalistische Ideen über die Theosophie und Anthroposophie auf die neuere Esoterik. In neuster Zeit machte der amerikanische Journalist Michael Drosin mit seinem Buch „Der Bibel-Code” (1997 / Fortsetzung 2002) auf sich aufmerksam. Nach kabbalistischem Vorbild versuchte der Autor, über die willkürliche Anordnung der hebräischen Buchstaben des Alten Testaments und durch entsprechende Zahlenzuordnungen „geheime” biblische Prophetien über die gesamte Weltgeschichte zu entschlüsseln. Wie nicht anders zu erwarten, passen diese spekulativen Deutungen für die Ereignisse der Vergangenheit und versagen in überwältigender Deutlichkeit bei allen Voraussagen, die sich auf Ereignisse nach dem Erscheinungsjahr des betreffenden Buches beziehen.

Kritik an den teils spekulativen und allegorischen Deutungen der K. setzte im späten 18. Jahrhundert ein. So bemängelt Jakob Emden in seinen „Mitpahat Sefarim” (1768) beispielsweise unstatthafte spätere Veränderungen am Zohar. Einen neuen Aufschwung nahm die K. mit dem Aufkommen der zionistischen Bewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. 1925 wurde ein internationales Zentrum für kabbalistische Forschungen an der Hebräischen Universität von Jerusalem gegründet. 1969 gründete Philip Berg das erste K.-Centre in Tel Aviv. Von den 2004 weltweit 50 Lokalitäten sind die in Los Angeles und London am wichtigsten, doch existiert auch eines in Hannover. Philip Berg vertritt eine an die moderne Popkultur angepasste K. mit Schnellerleuchtung und östlicher Karma- Lehre. Zu seinen Anhängern zählen unter anderem die Künstler Madonna, Britney Spears, Winona Ryder, Elizabeth Taylor, Paris Hilton, Paul Newman, Jeff Goldblum, Demi Moore, Ashton Kutcher, Naomi Campbell, Victoria und David Beckham. Der Büchermarkt bietet zwischenzeitlich sogar K. für Katzen und andere Haustiere an.

Ziel kabbalistischer Meditation und Praxis ist es, über die Vielheit durch die Emanationsstufen und Sephiroth- Wirkungen hindurch die göttliche Einheit zu erkennen und wiederherzustellen. Die gesamte Tora- Frömmigkeit dient dieser Wiederherstellung der ursprünglichen Harmonie in den Sephiroth (Aspekten und Entwicklungsstufen Gottes). Das für diese Aufgabe von Gott erwählte Volk kann die kosmologisch- theosophische Wiederherstellung durch die peinlich genaue Einhaltung der Riten der Alltagsfrömmigkeit erreichen. Jede der dazu gehörenden Handlungen wurde in diesem Zusammenhang mit einer schwerwiegenden Symbolik versehen.

Die Kabbalisten betonen sowohl die vollkommene Unfassbarkeit und Jenseitigkeit Gottes, als auch seine totale Diesseitigkeit und spirituelle Erfahrbarkeit. Durch Kontemplation (Meditation) und Illumination (Erleuchtung) könne der Mensch Zugang zu Gott gewinnen. Umfassende Weisheit könne der Suchende gleichermaßen durch geistliche Spekulation und göttliche Offenbarung erlangen. Zwischen Gott und den Menschen seien geistige Kräfte angesiedelt, zu denen man mittels geheimer Methoden Kontakt aufnehmen könne. Da dieses mystische Wissen leicht missverstanden werden kann, darf es nur geheim denen vermittelt werden, die sich durch ein bestimmtes Alter und höhere Gelehrsamkeit auszeichnen.

Beurteilung

  1. Nur schwerlich lässt sich eine geheime göttliche Offenbarung hinter dem buchstäblichen offensichtlichen Text der Bibel plausibel begründen. Eine auf Zahlenspekulationen und dem System einer kosmischen Evolution aufbauende Bibelauslegung öffnet einer willkürlichen, beliebigen Exegese Tür und Tor.
  2. Sowohl die synkretistischen (religionsvermischenden) Tendenzen als auch einzelne lehrmäßige Aussagen der K. zu Gott (verschiedene untergeordnete Stufen Gottes, Form des Pantheismus, Ignorierung Jesu), Welt (Abwertung materiell diesseitiger Welt), Mensch (göttliches Potential des Menschen, Reinkarnation) und Erlösung (Selbsterlösung durch Erkenntnis und magische Riten) widersprechen christlicher Lehre grundlegend.
  3. Die magische Absicht, geistliche Verhältnisse, letztlich sogar die Wiedervereinigung der gesamten Schöpfung mit ihrem Schöpfer durch innerweltliche rituelle Handlungen bewirken zu können, werden in der Bibel deutlich zurückgewiesen. Hier wird das wirklichkeitsverändernde Handeln und jeder Eingriff Gottes allein auf das souveräne Eingreifen Gottes zurückgeführt (vgl. zur K.: Ps 86,10; 144,3; Joh 1,3; Röm 7,18; Phil 2,12f; Kol 1,14-20; 2,8f; 1Tim 6,20; Tit 1,14; Hbr 9,27).

Literaturhinweise

Andreas Fincke: Die Kabbalah-Zentren – Technologie für die Seele, in Materialdienst EZW 1/07 / P.Eppstein: Kabbala, 1978 / Ernst Müller (Hrsg.): Der Sohar: das heilige Buch der Kabbala, 5. Auflage 1991
Georg Schmid: Die neue Kabbala – Instantmystik als Lebenshilfe?  Informationsblatt Nr. 3 und 4, November 2004 (Evang. Informationsstelle Kirchen – Sekten – Religionen)
G.Scholem: Zur Kabbala und ihrer Symbolik, 1960 / G.Scholem: Ursprünge und Anfänge der Kabbala, 1962 (2001)

Einzelhinweise und Quellen

Anmerkungen


Quellenangaben

Lit.:


Michael Kotsch