Inkarnation

Aus Christ-Wiki.de

Religionswissenschaftlich

Inkarnation (lat.) (I.) ist ein theologischer Begriff, der jedoch in die Religionswissenschaft übernommen wurde. Bezeichnet der Begriff I. im christlichen Sprachgebrauch Fleischwerdung, Menschwerdung Christi (Joh 1,14), so in seiner religionswissenschaftlichen Ausweitung das Eingehen eines göttlichen Wesens in einen menschlichen Körper, das auf der Erde lebt. Teilweise wird auch der Religionsstifter als I. betrachtet. Abgrenzungsschwierig-keiten bestehen gegenüber den Begriffen "Manifestati-on" und "Epiphanie", weshalb die Verwendung des Be-griffes I. in der Religionswissenschaft umstritten ist. Weiter kann religionswissenschaftlich zwischen einer kontinuierlichen I. und einer diskontinuierlichen I, unter-scheiden werden, wobei die erste Form eine I. in einer Institution oder Dynastie bedeutet, die zweite jedoch eine I. in einzelnen Individuen. Ein Beispiel für kontinuier-liche I. aus längst vergangener Zeit sind die altägypti-schen Pharaonen, die als I. des Königsgottes Hores angesehen wurden. Im tibetanischen >Buddhismus ist die Vorstellung einer kontinuierlichen I. bis heute von entscheidender Bedeutung. So gilt der >Dalai Lama als I. des Bodhisattva Avaloktes´vara, des höchsten Bodhisvattva, welcher nach buddhistischer Auffassung kurz vor dem Erreichen der Buddhaschaft steht, aber noch auf der Erde bleibt, bis alle Wesen erlöst sind; erst dann wird er ins Nirwana eingehen. Außer im Buddhis-mus hat die Vorstellung der I. auch Bedeutung im >Hin-duismus. In dessen vishnuitischer Richtung herrscht die Vorstellung einer diskontinuierlichen I., wonach Vishnu bei der Strömung der Weltordnung in die Welt herab-steigt (Avatara). Zu erinnern ist auch an die Seelenwan-derungslehre, womit die >Reinkarnation (Wiederverkör-perung) in einer anderen Gestalt gemeint ist. Mit all die-sen I.svorstellungen hat die im Neuen Testament be-zeugte I. Jesu Christi nichts zu tun, sondern ist unver-gleichlich und das genaue Gegenteil dessen.

Im Neuen Testament

Der Begriff Fleisch in der Bibel

Der für die I. Christi wichtige Satz. "Das Wort ward Fleisch" (Joh 1,14) lässt nach der Bedeutung des Begriffes "Fleisch" in der Bibel fragen und dann danach, was es heißt, dass das ewige Wort (Logos) in Jesus "Fleisch" annahm. Kommen auch das Substantiv I. und das Adjektiv inkarniert, die vom lateinischen "in carne" (=im Fleisch) abgeleitet sind, in der Bibel nicht vor, so doch deren griechische Entspre-chung "en sarki" (=im Fleisch), z. B. Eph 2,15; Kol 1,22; 1. Tim 3,16; 1. Joh 4,2; 2. Joh 7.

Die ursprüngliche Bedeutung von "Fleisch" in der Bibel ist eine physiologische. Im biblischen Denken werden Körperorgane mit seelischen Funktionen in Zusammen-hang gebracht, so dass der Ausdruck "Fleisch" im Alten Testament sowohl die psychologische wie auch die physische Seite des Menschen meint, sich aber keines-wegs darin erschöpft. Vielmehr bringt der Ausdruck "Fleisch" auch ein Abhängigkeitsverhältnis zum Aus-druck. Es bezeichnet Leben, das von Gott kommt, von ihm erschaffen ist und abhängig bleibt (z. B. "Nimmst du weg ihren Odem, so vergehen sie. Du sendest aus dei-nen Odem, so werden sie geschaffen", Ps 104,29). Das "Fleisch", Gattungsbegriff für Mensch und Tier, hat nur eine recht kurz bemessene Lebenszeit auf Erden. Damit bezeichnet "Fleisch" Vergängliches und steht im Gegen-satz zu Geist, der ewig ist, nicht allein von Gott kommt, sondern Gott ist (Jes 31,3; 40,6-31; 2. Kor 3,17). Wenn es von Jesus heißt, das Wort (Logos) sei Fleisch ge-worden (Joh 1,14) und er sei "offenbart im Fleisch" (1. Tim 3,16), so heißt das, er ist gekommen und gestorben unter den Bedingungen des erschaffenen, körperlichen und seelischen Lebens; d. h. als Mensch ist er auf diese Erde gekommen und als solcher gestorben. Der Ein-gang des Präexistenten in die Welt war die eines Men-schen, aber doch darin unterschieden, dass er auf über-natürliche Weise in diese Welt einging (>Jungfrauenge-burt). Aber er war in Ewigkeit Gott. Und dadurch, dass er sich "in unser armes Fleisch und Blut verkleidet[e]" (Mar-tin Luther, EKG 15,2; EG 23,2), gab er sein Gottsein nicht auf.

Jesu Gottheit ist im Neuen Testament bezeugt

Ist das Zeugnis von der Gottheit Jesu auch eher selten im Neuen Testament ausdrücklich angeführt (z. B. Joh 20,28: Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!), aber eben doch angeführt, auch wenn die ausdrückliche Erwähnung eher die Ausnahme bleibt, so gehörte sie dennoch zu dem Glauben, in welchem die ersten Christen lebten und beteten. Wurde der Glaube an die I. auch erst später formuliert, so existierte er, wenn auch noch unreflektiert, in der Kirche von Anfang an. Bereits für die frühe Kirche war Jesus der, in welchem sich Gott inkarniert hatte, in welchem Gott Fleisch ge-worden war. Die von Matthäus (1,18-2,23) und Lukas (1,5-2,52) berichteten "Geburts"- (Jungfrauengeburt) und "Kindheitsgeschichten" Jesu bringen den Ursprung Jesu aus Gott zum Ausdruck. Freilich, sie betrachten seine Inkarnation nicht isoliert, sondern in Verbindung mit Jesu Kreuz und Auferstehung.

Durch die Inkarnation hört die Gottheit Jesu nicht auf: wahrer Mensch und wahrer Gott

Jesu I. ist ein im Neuen Testament viel beachtetes Thema, besonders von Pau-lus, Johannes und dem Verfasser des Hebräerbriefes. Dabei lassen sie das Persongeheimnis Jesu bewusst stehen und wollen es nicht auflösen, sondern wollen den göttlichen Erlöser verherrlichen, indem sie die Bedeu-tung seines Werkes im Heilsplan Gottes zur Sprache bringen. Sie verkündigen die I. als Tatsache, die zur Erlösung der Sünder ihre Bedeutung hat und in den all-umfassenden Plan Gottes zur Erlösung gehört (Joh 1,18; Röm 8,3; Phil 2,6-11; Kol 1,13-22; 1. Joh 1,1-2,2; Hebr 1; 2; 4,14-5,10; 7,1-10,18). Für die neutestamentli-chen Verfasser ist der Zweck der I. ein soteriologischer, was auch an den Geburtsgeschichten Jesu deutlich wird (Mt 1,21 ff.; Lk 1,26 ff: 2,10 f.; 2,29-32). Die Verfasser des Neuen Testaments wissen darum, dass sowohl die Gottheit als auch die Menschheit Jesu für das Werk der Erlösung wichtig sind. Deshalb wird bereits im Neuen Testament die Leugnung der zwei Naturen Jesu abge-wiesen; selbst wenn die >Zwei-Naturen-Lehre noch nicht genau ausformuliert ist, so handelt es sich nicht um ein späteres Produkt der kirchlichen Lehrentwicklung, son-dern um Präzisierung dessen, was im Neuen Testament bereits enthalten ist. Bereits in neutestamentlicher Zeit wird die Leugnung der zwei Naturen in einer doketischen Christologie erkannt, die verneint, dass Christus "Fleisch" geworden ist (1. Joh 4,2 f.) und seinen Tod verneint ("Blut", 1. Joh 5,6) (>Doketismus). Nach dem 1. und 2. Johannesbrief ist diese Irrlehre antichristlich und bedeutet eine Verleugnung von Gott dem Vater und dem Sohn (1. Joh 2,22-25; 4,1-6; 5,5-12; 2. Joh 7.9-11). Grundlegendes neutestamentliches Verständnis besagt: Jesus ist Gottes Sohn. So entspricht dies Jesu Selbst-verständnis. Auf die Frage des Hohenpriesters vor sei-ner Passion antwortet Jesus mit dem Anspruch persön-licher Göttlichkeit. Die Sohnschaft, die er u. a. auch durch die Ich-bin-Worte beanspruchte, will aussagen: In seiner Person ist Gott da. Das präexistente ewige Wort (Logos) Gottes wird bei Johannes mit Gottes personge-wordenem Sohn Jesus Christus identifiziert (Joh 1,1-18; 1. Joh 1,1-3; Offb 19,13). Für Paulus ist der Sohn so-wohl vor (Kol 1,15) als auch nach der I. "Ebenbild Got-tes" (2. Kor 4,4). Vor seiner I. war Jesus "in göttlicher Gestalt" (Phil 2,6). Nach dem Hebräerbrief ist Jesus "der Abglanz seiner [Gottes] Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens" (1,3) und demnach göttlich und, wie es später das Konzil von Nizäa (321 n. Chr.) ausgedrückt hat, "eines Wesens mit dem Vater". Der Sohn verkörpert den Vater in allem; es gibt nichts, was der Vater hätte und der Sohn nicht. Dass Jesus ganz Gott ist, geht auch daraus hervor, dass Paulus Weissagungen des Alten Testaments, die Jahwe betreffen, auf Jesus beziehen kann und dadurch anzeigt, dass sie in ihm in Erfüllung gegangen sind (Röm 10,13 = Zitat aus Joel 3,5; Phil 2,10, das sich auf Jes 45,23 bezieht). Dasselbe gilt auch für den Hebräerbrief (Hebr 1,8 zitiert Ps 45,7.8). Damit halten sowohl Paulus als auch der (anonyme) Verfasser des Hebräerbriefes Jesus für göttlich. Im Neuen Testa-ment wird Jesus als Herr bezeichnet.

Diese Bezeichnung wurde im Hellenismus den Göttern gegeben (1. Kor 8,5). Die Septuaginta benutzt ihn zur Umschreibung des Gottesnamens. Dies bedeutet, dass Jesus Göttlichkeit zugeschrieben wird. Als Jesus auf die Erde kam, "das Wort (Logos) Fleisch wurde", hörte sei-ne Göttlichkeit nicht auf und wurde diese nicht geringer. I. heißt nicht, dass er nicht mehr seine göttlichen Aufga-ben wahrgenommen hätte. Die Funktionen, die Schöp-fung zu erhalten, Leben zu geben und zu bewahren (Joh 1,4; Kol 1,17; Hebr 1,3) behielt er auch während der Zeit seines irdischen Daseins bei. Durch die I. wurde die Göttlichkeit Jesu nicht verringert und seine göttlichen Kräfte nicht geschmälert (gegen "Kenosis"-Theologie). Er entäußerte sich seiner sichtbaren Herrlichkeit (Phil 2,7; Joh 17,5) und wurde arm (2. Kor 8,9). Er nahm menschli-chen Leib an und führte ein menschliches Seelenleben und menschliche Leibeserfahrungen. Sein Menschsein war vollständig (1. Tim 2,5; Gal 4,4: Hebr 2,14.17) und es ist ewig. Für ihn gilt: "Wahr' Mensch und wahrer Gott" (Friedrich Layriz, EKG 23,3; EG 30,3). Die I. ändert die Beziehung des Vaters zum Sohn und umgekehrt nicht. Ihre Gemeinschaft bleibt ungetrübt. Der Sohn vollbringt den Willen des Vaters. Durch die I. wird das Wesen des Sohnes nicht verändert. Sein Leben bleibt ohne Sünde (Joh 8,46: 2. Kor 5,21; 1. Petr 2,22; 1. Joh 2,1 f.; Hebr 4,15). Unter der Macht der Erbsünde steht er nicht, wie sollte er sonst sündlos bleiben, und er stirbt nicht für eigene (Hebr 7,26), sondern stellvertretend für fremde Sünden (2. Kor 5,21; Gal 3,13; 1. Petr 3,18). Sündlos konnte er bleiben, weil er auch nach der I. Gott der Sohn ist (Joh 5,19.30); nur als Sündloser konnte er für die Sünden anderer sterben. Er war von der Sünde versucht und musste dies, weil er Mensch war, bekämpfen; doch weil er Gott war, konnte er ihr nicht unterliegen (Mt 4,1 ff. parr). Als selbst Versuchter, der jedoch der Sünde nicht unterlag, "kann er helfen denen, die versucht werden" (Hebr 2,18; 4,14-16; 5,2.7-10).

Theologiegeschichtlich

Altkirchlich

Die neutestamentliche Lehre von der I. Christi, welche Natur und Bedeutung Christi mehr be-kennt als beschreibt, wurde das zentrale Dogma der Christologie. Es besagt: im Menschen Jesus von Naza-reth wurde Gott Mensch. Abschließend festgelegt wurde dies auf dem Konzil von Chalcedon (451 n. Chr.), das zum Ausdruck brachte: Christus, das ewige Wort (Lo-gos) Gottes ist, hat in der hypostatischen Union die menschliche Natur in ihrem ganzen Umfang angenom-men (Christus ist wahrer Gott und wahrer Mensch, Den-zinger / Schönmetzer Nr. 301-303). Bis es jedoch zu dieser abschließenden Bestimmung in der Mitte des 5. Jahrhunderts kam, war gedanklich ein langer theologi-scher Weg zurückzulegen und manches Missverständnis auszuräumen. Bereits für die ersten Christen ist Jesus von ganz eigener Identität, eben unvergleichlich. Er ist kein Engel (Hebr 1,1 ff.) und kein wiedererstandener Patriarch, aber ganz Mensch. Das Wort (Logos), das er verkörpert, ist im Gegensatz zu gnostischem Denken kein unpersönliches und allgemeines Prinzip. Unter den Kirchenvätern hat um 200 n. Chr. Tertullian ein Buch über die I. geschrieben (De carne Christi). Ebenfalls bereits im 2. Jahrhundert vertrat Irenäus von Lyon die Lehre, Jesus habe die Macht Gottes, wäre durch nichts be-grenzt, doch wirke er in dieser Welt. Maßgeblich bei der Lehrentwicklung wurden Athanasius von Alexandrien (296-373 n. Chr., "De incarnatione") und die ihm folgen-den alexandrinischen Theologen. Die drei genannten und andere altkirchliche Theologen vertraten eine "Christolo-gie von oben", die die übliche wurde, was besagt, im historischen Menschen Jesus von Nazareth ist der ewige Sohn Gottes Mensch, "Fleisch" geworden. Dabei ist der Ausdruck "Fleisch" als Bezeichnung für den gesamten Menschen, also für Leib und Seele zu verstehen. Gegen die Ansicht des Origenes, der bei Jesus eine präexisten-te Seele annahm, und gegen Paulus von Samosata (+ nach 272 n. Chr.), der lehrte, das Wort (Logos) sei einem vollkommenen und besonderen menschlichen Individu-um eingegeben, neigten andere dazu, Jesus habe keine menschliche Seele, sondern an ihre Stelle sei das Wort (Logos) getreten. Arius (280-336 n. Chr.) meinte, das Wort (Logos) sei nicht göttlich gewesen. Dagegen ent-schied das Konzil von Nizäa (321 n. Chr.), das die Gött-lichkeit des Wortes (Logos) bejahte, so dass damit ei-nerseits das Wort nicht mehr Teil eines menschlichen Wesens wurde, andererseits aber auch die volle Menschheit Jesu gewahrt blieb. Apollinaris von Laodicea (310-390 n. Chr.) war Schüler des Athanasius und inter-pretierte "Fleisch" in einem engeren Sinne. Der Sohn Gottes habe nur menschliches Fleisch, aber keine menschliche Seele angenommen, das Wort (Logos) sei an die Stelle des Nous (Sinn, Verstand, Vernunft) getre-ten. Damit bestritt Apollinaris, dass Jesus wahrer Mensch war. Das zweite Ökumenische Konzil (Konstan-tinopel I, 381 n. Chr.) verwarf seine Lehre als Häresie. Während die antiochenischen Theologen auf einer schar-fen Trennung zwischen dem leidensfähigen Menschen Jesus und dem unwandelbaren Wort (Logos) bestanden, beschuldigten die alexandrinischen Theologen ihre Geg-ner, sie lehrten zwei "Christusse". Cyrill von Alexandrien (vor 400-444 n. Chr.) vertrat die hypostatische Einheit von Wort (Logos) und Mensch, die auf einzigartige Wei-se miteinander verbunden sind. Diese Sicht wurde für das vierte Ökumenische Konzil in Chalcedon 451 n. Chr. maßgeblich, welches das I.sdogma endgültig formulier-te. Die Entscheidung dieses Konzils besagte, die einzi-ge göttliche Person (Hypostase) des Gottessohnes ist unter zwei Naturen, einer göttlichen und einer menschli-chen offenbart worden.

Die menschliche Natur ist vollkommen. Christus war nach Leib und Seele ein vollkommener Mensch. Die Menschheit ist mit der Gottheit auf ewig vereinigt, da der Auferstandene ein Mensch bleibt. Jesus konnte auch göttliche Wunder nach seiner Menschheit tun, da er die Eigenschaften der göttlichen und menschlichen Natur austauschen konnte (Lehre von der communicatio idio-matum). Er konnte seine Gottheit benutzen, ohne seine Menschheit aufzugeben. Durch die göttliche Macht wur-de die Menschheit Jesu nicht verwandelt. Die Mensch-heit Jesu ist weiterhin sterblich geblieben, so dass am Kreuz der ewige, präexistente Sohn seiner menschlichen Natur nach gestorben ist und diese Natur auferstanden und in den Himmel aufgefahren ist. Es ist der umgestal-tete Mensch Jesus Christus, der jetzt "zur Rechten Got-tes sitzt".

Mittelalter und Reformation

Die Folgezeit erbrachte eine Verfeinerung des 451 n. Chr. in Chalcedon erlasse-nen Dogmas (>Chalcedonense). Die hypostatische Uni-on war weiterhin das Mittel, um die volle Menschheit und Gottheit Christi durch eine Logoschristologie sicherzu-stellen. Für Anselm von Canterbury (1033-1109) gewann die I. Christi große Bedeutung. In „Cur Deus Homo“ be-handelt er die Frage, weshalb der Gottessohn Mensch werden musste. Er musste dies, um die Sünden der Menschen zu beseitigen. Durch die Erbsünde wurde das ewige Leben verloren. Nur der sündlose Gott hat die Macht, den Menschen zu rechtfertigen. Diese Schuld konnte nur Gott bezahlen - und deshalb ist er durch den Sohn Mensch geworden. In der römisch-katholischen Theologie ist die I. Christi zudem durch die Vorstellung, die Kirche sei der "geheimnisvolle Leib Christi", eng mit der Ekklesiologie und der Sakramentslehre verbunden.

Am bereits altkirchlichen I.sdomga hielten die Reforma-toren fest, obschon sie die römisch-katholische Mess-lehre verwarfen und von dieser, wenn auch unterschied-lich stark, abrückten und sich in der Abendmahlsauffas-sung deutlich unterschieden, wie auch hinsichtlich der Lehre von der communicatio idiomatum. Luther (1483-1546) vertrat die Allgegenwart der verherrlichten Menschheit Christi, während hingegen Calvin (1509-1564) die Unterscheidung zwischen der verherrlichten Mensch-heit Christi, die aber begrenzt und geschaffen bleibt, und der Göttlichkeit des Wortes (Logos) vertrat. Aus dem Zeitalter der altprotestantischen Orthodoxie ist an die Auseinandersetzung zwischen den theologischen Fakultäten Gießen und Tübingen (1618-1624) zu erinnern. Während die Gießener Theologen die wirkliche Entäuße-rung der Macht während Christi Erdendasein lehrten (Ke-nosis), lehrten demgegenüber die Tübinger die Verhül-lung dieser Macht (Krypsis).

20. Jahrhundert

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts gewann die I. für manche Richtungen in der römisch-katholischen, orthodoxen und anglikanischen Kirche an Bedeutung, da diese teilweise die Kirche als Ausweitung der I. betrachteten. Dieser Eindruck kann auch bei Diet-rich Bonhoeffers (1906-1945) früher Überlegung entste-hen, der zufolge er die Kirche als "Christus existierend als Gemeinde" sieht. Erwähnt werden muss auch, dass sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein nicht geringer Teil der Theologen von Bultmanns >Entmytho-logisierungsprogramm ansprechen ließ und die Lehre von der I. Christi als Mythos abgetan wurde. Aber es muss auch darauf hingewiesen werden, dass viele der Theologen im Zeitalter von Rationalismus und Altlibera-lismus bereits im 19. Jahrhundert diese Lehre aufgege-ben hatten. Im deutschen theologischen Liberalismus spielte die I. Christi für die Soteriologie keine Rolle mehr. Die im großen und ganzen nicht beachtete soterio-logische Bedeutung der I. brachte im 20. Jahrhundert einige Neuansätze für die I., die sie vielfach wieder fruchtbar machen wollen, ohne ihr meist soteriologische Relevanz zuzubilligen:

  • Rudolf Bultmann hat die herkömmliche I.s-Lehre als "my-thologische Vorstellung" betrachtet (in: Kerygma und Mythos, Bd. 1, Hamburg 1948, = Vortrag von 1941)
  • Karl Barth hat ein neu formuliertes Extra Calvinisticum gelehrt, indem er die wesenhafte Identität des ewigen Gehor-sams des historischen Jesus vertrat (Die Kirchliche Dogmatik, I / 1, 1956, 134-221).
  • Wolfhart Pannenberg verteidigt die Präexistenzvorstellung bei gleichzeitiger Bestreitung der Jungfrauengeburt, die er durch das eschatologische Ereignis der Auferstehung bestä-tigt sieht (Grundzüge der Christologie, 1964; Systematische Theologie, 1988 ff.).
  • Die traditionelle Lehre der Leidensunfähigkeit der Gottheit Christi bestreitet Jürgen Moltmann und vertritt eine Theologie der göttlichen Solidarität mit menschlichen Leiden (Der ge-kreuzigte Gott, München 1972).
  • Am weitesten gehen einige englischsprachige Theologen (z. B. John Hick), die den I.sbegriff verwerfen (John Hick <Ed.>, The Myth of God Incarnate, 1972, deutsch: Wurde Gott Mensch? Der Mythos vom fleischgewordenen Gott, 1979).
  • Römisch-katholische Theologen, vor allem Karl Rahner, haben die I. als Zeichen für die Orientierung der menschli-chen Natur auf das göttliche Leben hin gesehen (das "über-natürliche Existential") und sich dabei auf Überlegungen von Irenäus und Athanasius berufen, wonach das Ziel der I. die Vergottung sei.

Da die neueren Versuche die I. im großen und ganzen ohne ihre soteriologische Bedeutung fruchtbar machen wollen, bleiben sie für auf das Heil gerichtete Theologie irrelevant, da diese der I. soteriologische Bedeutung zukommen lassen muss. Das hat die herkömmliche I.slehre richtig erkannt. Sie ist deshalb nicht ersetzbar. Sie ist aufgrund geltender Bekenntnisse kirchliche Lehre, wenn sie auch faktisch durch andere Entwürfe, zumin-dest zeitweise, ersetzt sein mag.

S. auch: Jesus Christus; Jungfrauengeburt; Zweinaturenlehre; Dreieinigkeit.

Literaturhinweise

E. Brunner, Der Mittler, 1927
M. Hengel, Der Sohn Gottes, 1977
H. Marshall, Die Ursprünge
Kleines Theologie-Handbuch in 2 Bänden ,MABO PROMOTION 20081

Einzelhinweise und Quellen

Anmerkungen


Quellenangaben


Orginärer Autor: Walter Rominger